2.1.4.4.1 Formen des Präsensperfekts (des Perfekts, der vollendeten Gegenwart)

  1. Das Präsensperfekt wird mit dem Präsens der Hilfsverben hebben haben oder wesen/ween/sien sein zuzüglich dem Partizip Präteritum des Vollverbs gebildet. Dabei gibt es folgende Abweichungen vom Hochdeutschen, die kennzeichnend niederdeutsch sind:

    1. Wird kein Ziel angegeben, wird entgegen dem Hochdeutschen auch bei Bewegungsverben oft hebben haben gebraucht.
      Wird ein Ziel angegeben, wird wie hochdeutsch stets das Präsens von wesen/ween/sien sein zuzüglich des Partizips Präteritum des Verbs der Bewegung gewählt, z.B.

      Ik heff/bün lopen.
      Ich bin gelaufen.
      Dat hett/is mi ok so gahn.
      Das ist mir auch so ergangen.
      Wenn he doch blot kamen kunnt harr!
      Wenn er doch nur hätte kommen können!

      Ik bün na Huus lopen.
      Ich bin nach Hause gelaufen.

    2. Im nördlichen Nordniederdeutsch tritt auch das Präsensperfekt von

      1. wesen/ween/sien sein

      2. blieven bleiben und

      3. warrn werden mit dem Infintiv hebben haben statt mit dem Infinitiv wesen/ween/sien sein auf. Das ergibt z.B.

        He kann hier west
        hebben neben wesen/ween/sien.
        Er kann hier gewesen sein.
        He kann to Huus bleven
        hebben neben wesen/ween/sien.
        Er kannt zu Hause geblieben sein.
        Ut em kann nix worrn
        hebben neben wesen/ween/sien.
        Aus ihm kann nichts geworden sein.

      Hinweis 1:

      Der Infinitiv des Hilfsverbs plus das Partizip Präteritum des Vollverbs, z.B.

      west hebben/wesen/ween/sien, ergeben den Infinitiv Perfekt, s. hier.

      Hinweis 2:

      Im Landesteil Schleswig außer einem südlichen Bereich wird das Präsensperfekt von wesen/ween/sien sein oft sogar mit hebben haben in konjugierter Form gebildet, z.B.

      1. He hett woll hier west. Er ist wohl hier gewesen.

      2. He hett wull to Huus bleven. Er ist wohl zu Hause geblieben.

      3. He hett süük worrn. Er ist krank geworden.

        .

  2. Im Hochdeutschen wird bei den Modalverben wollen, sollen, dürfen, können, mögen, müssen und oft brauchen das Partizip Präteritum durch den reinen Infinitiv (Grundform/Nennform) ersetzt wird, sog. Ersatzinfinitiv. Kennzeichnend gibt es ihn niederdeutsch nicht, z.B.

    He hett nich kamen
    wullt/schullt/dörvt/kunnt/mücht/müsst/bruukt.
    Er hat nicht kommen
    wollen/sollen/dürfen/können/müssen/brauchen.
    Dat harr he ok schrieven kunnt.
    Das hätte er auch schreiben können.

    Ebenso ist das bei lassen. Auch soweit im Hochdeutschen bei den Wahrnehmungsverben fühlen, hören, sehen und spüren der Ersatzinfinitiv auftritt, bleibt es im Niederdeutschen beim Partizip Präteritum, z.B.

    He hett em kamen laten.1
    Er hat ihn kommen lassen.
    Ik heff dat hier kribbeln föhlt/spöört.
    Ich habe es hier kribbeln fühlen/gefühlt/spüren/gespürt.

    Anmerkung 1:

    Das Partizip Präteritum ist aber nicht sichtbar, weil es wegen des ge-Abfalls wie der Infinitiv lautet.

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